Ulrike Schrimpf und Anna Hoffmann über: Verlust, Gelüste, Experimente
VON MOREHOTLIST
VERÖFFENTLICHT AM FEBRUAR 1, 2022
darauf ein neues blatt papier:
NACH TUNDRA RIECHT DIE NACHT
MEIN ARSCH IST KALT
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Ulrike Schrimpf: Anna Hoffmann habe ich über die sozialen Medien kennengelernt. Immer wieder erregt sie dort Aufsehen mit einer geschickten Mischung aus ästhetischen Bildern, selbstbewussten, auch sinnlichen Selbstrepräsentationen und Gedichten, die auf vielseitige Weisen aus allen möglichen Rahmen fallen. Meine Neugier auf die Dichterin wurde also immer größer, auch weil sie so gar nicht zu anderen Dichter:innen unserer Zeit zu passen scheint, und weil ihr das, so mein Eindruck und so würde sie es vielleicht auch selbst formulieren, vielleicht sogar in ihren Gedichten: am Arsch vorbeigeht.
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Soweit ich sehe, hat Anna Hoffmann vorwiegend außergewöhnliche Bücher in kleinen Nischenverlagen veröffentlicht, die alle künstlerisch aufwendig gestaltet sind. Sie schreckt nicht vor großen, auch machtvollen Worten, Bildern und Themen zurück und verwendet gerne mythologische Motive und Vergleiche: In ihrem Schreiben hält sie unter anderem Zwiesprache mit Kassandra, Ophelia, Hamlet und Medea. Gleichzeitig ist ihr eine deftige, vulgäre, auch aggressive Sprache nicht fern, und sie bedient sich ihrer selbstverständlich und saftig, wie ein Fisch im Wasser, sozusagen. Dann wieder sehe ich Ironisierungen, Klammern, Verschachtelungen und Brechungen in den Texten, ohne dass diese überhandnehmen und alles zerlegen, ohne dass sie Gefühle nicht mehr zu- oder einlassen.
Andere Gedichte Hoffmanns klingen überraschend direkt und erzählen von Sehnsucht, Trauer, Verlust, berühren auch auf einer ersten einfachen Ebene.
Dem Schreiben der Dichterin ist stets beides zu eigen: einerseits eine grundsätzliche, formende Musikalität und Rhythmik und andererseits eine Formen sprengende Lust am – sprachlichen – Experiment, ein erkennbarer Wille, neue formale und expressive Wege zu gehen./Ulrike Schrimpf
Liebe Anna, kannst du mit meinen oben geschilderten Eindrücken von deinem Schreiben etwas anfangen? Wie siehst du es selbst? Und scheren dich gemeinhin bekannte Kriterien für – erfolgreiche – Kunst (Wie und worüber hat man heutzutage zu schreiben? Wie und worüber haben Dichter:innen zu schreiben?) wirklich so wenig, wie es den Eindruck macht?
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Anna Hoffmann: Ja, das ist schon so. Es sind trotzige Versuche, mit denen ich den großen Themen das Pathos austreiben möchte, um sie zu retten. Es geht nur über die Brechung des Pathos, denke ich, die Fallhöhe zwischen Inhalt und Form. . . .
Frank Milautzcki in SIGNATUREN - Forum für autonome Poesie / Dezember 2021
Anna Hoffmann: Vlust. Berlin (Hybriden Verlag) 2021. 66 Seiten. Normalausgabe mit Audio-CD 35,00 Euro.
Kernland - Rezension zu VLUST von Anna Hoffmann
Wer sich zu Wort meldet, hat mit der Welt zu tun und bleibt bei ihr und sogar in ihr kleben. So eröffnet der neue Gedichtband von Anna Hoffmann mit den vorangestellten Versen: „wie soll ich durch die helle kommen / ich hab den mund zu rot genommen“. So leicht gereimt, dennoch intensiv der Background und die darin verborgene Kommunikation: Es ist nicht spurlos durch die Welt zu kommen, wenn man sie beschreibt und über sie Bericht erstattet. Wenn vom Leben mitgeteilt wird, dann strickt sich automatisch ein Netz aus Zweifel und Mitgenommensein, der Passagier schreibt sein Dossier. Zu rot heißt nicht geschminkt. Eher gewagt da. Ins Dasein hineingewagt, das man auch überfliegen könnte, dem man sich wegzappen könnte. Es finden sich Mantras, die helfen irdisch zu bleiben: „ich bin nicht wahnsinnig / ich bin feucht für nichts / ich komme aus meinem tod“, was hier Ich ist, strahlt niemanden an und ist zunächst das Unbeleuchtete, das dennoch die Welt selbst illuminiert, indem es Licht in sie schießt und bemerkt, daß es das kann. Fähig sein, aus einem unfassbaren Kern heraus welttüchtig sein, das ist bei aller tragischen Verquickung der Grund der Freude, das erhoffte Ja.
Aus dieser spannungsreichen Konstellation entstehen die Gedichte von Anna Hoffmann. Längst nicht immun gegen das Schwierige und das Dunkel, wagt sie den Schritt der Bekenntnis auf dem Vehikel der Poesie. Der Schritt selbst ist die Form der Bewegung, die das Beschrittene wandelt, und wer in ihm zuläßt, daß selbst im größten Zauber, in der Lust, der Verlust steckt aller sauberen Wahrheit, „bachblüten tantra ratten im haar“, der bewegt sich im organischen Bruch, eigentlich im Zerbrechen, „tod hat blumen an jeder hand“, im Bewußtsein des Wassers, „wir allesträumer auf dem weg zur kippe / der jenseits führt von gin und sinn“, der sich betrügt mit Theatralik und Dogma, mit Hamlet, Ophelia, klassischem Ernst, aber dennoch wahr ist, und begründet bleibt. Es braucht das Aufstehen, um die Begründungen zu kappen und die ganze Banalität zu erfahren: „wir sind nicht tot / wir schlafen nur“ und könnten aber doch wach sein ...
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Markus Pohlmeyer über Anna Hoffmanns „VLUST“
GESCHRIEBEN AM 1. SEPTEMBER 2021VON MARKUS POHLMEYER FÜR CRIMEMAG, CRIMEMAG SEPTEMBER 2021
Anna Hoffmann: VLUST. Gedichte. Plus Audio-CD von Anna Hoffmann. Hybriden-Verlag, Berlin 2021.
Eine Rezension.
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Gewiss werde ich nicht fragen, was uns Anna Hoffmann damit sagen wollte – das tat die Dichterin nämlich genau in ihren Gedichten und mit deren Form. Beschreiben möchte ich hier vielmehr, wie es mir mit diesem Buch ergangen ist. Da liegt auf meinen Küchentisch immer eine kleine Auswahl von Poesie (von der Antike bis heute). Natürlich fänden sich ‚heiligere‘ Stätten, um Gedichte in der eigenen Wohnung auszustellen …; anders gewendet: gute Lyrik ist für mich die, mit der ich täglich leben kann. Die ich greifen kann, jederzeit, in allen noch so, noch so banalen Alltagssituationen, weil sie mich ergreift, und die mich mit Rätseln zurücklässt, weil ich sie nicht vollständig begriffen haben kann – und auch nicht muss. Ja, und ich somit, nach einer gewissen Zeit, wieder zu diesem oder jenem Gedicht greife. Oder es nach mir greift.
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So auch VLUST – oder Frust? Fluss? Oder V(er)lust? Sinnlich, erotisch, abgründig. Und eine poetria docta am Werk: Ophelia, Medea, Kassandra oder Nausikaa (und andere mehr) spannen einen weiten mythopoetischen Rahmen, in den sich die vielen Sprecherinnen, aber auch Sprecher, dieser Gedichte mit ihren Geschichten und Gefühlen einschreiben. Erschütternd beispielsweise die Auseinandersetzung mit Schillers berühmtester Elegie und dessen Wallenstein …
Ulrike Schrimpf
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7. September 2021
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"wie soll ich durch die helle kommen
ich hab den mund zu rot genommen" -
schönste Post.
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Schon länger hat mich kein Lyrik-Band so in seiner Gänze und Vollständigkeit beeindruckt und bewegt wie dieser:
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Anna Hoffmann, Vlust, Hybriden Verlag: 2021.
Ulrike Schrimpf | Autorin
Heinz Weißflog
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Sommer 2012
"Unter dem Titel Totenmaske erschienen 2010 Gedichte über Sterben und Tod von Anna Hoffmann, dem grafisch noble, eher frei gedachte, nicht illustrative, schwarz-weiße Linolschnitte von Zoppe Voskuhl beigefügt sind. ...
Sehr persönlich erzählt die Dichterin
vom Sterben des Vaters."
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Anna Hoffmann, Totenmaske, Corvinus Presse Berlin 2010.
Heinz Weißflog | Signum Heft 2
Waltraut Schwab
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04. und 05.Februar 2012
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"Rede- und Suchgedichte" nennt sie ihre Totenklage - ein radikales Buch, in dem Sprachvirtuosität und Verzweiflung verschmelzen.
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Anna Hoffmann, Totenmaske, Corvinus Presse Berlin 2010.
Waltraut Schwab | taz